CD Kritik Progressive Newsletter Nr.15 (06/1997)
Giant for a life (Gentle Giant Tribute)
(62:52 + 50:18, Mellow Records, 1997)
Tribute-Alben (die Schweden/innen sind hier nicht gemeint) erfreuen sich scheinbar wachsender Beliebtheit, zumindest im Lager der Labelinhaber. So konnte nicht verhindert werden, dass Mauro Moroni auf seinem Mellow Records Label bereits den vierten Tribute-Sampler veröffentlichte. Nach Genesis, VdGG und Camel musste nun die Nummer 2 meiner persönlichen ewigen Bestenliste (knapp hinter Yes, punktgleich mit Genesis) dran glauben: Gentle Giant. Moroni lässt sich natürlich nicht lumpen, also wird gleich eine Doppel-CD daraus. "Mehr Masse als Klasse" ist die erste Vermutung, mit der man schließlich auch ins Schwarze trifft. Auffällig ist zunächst, dass der Großteil der ausgewählten Titel der frühen und damit extrem komplexen Schaffensphase des sanften Riesen entstammen. Bedenkt man, dass eine besondere Stärke der Band in den Gesangspassagen mit der sehr kräftigen Stimme von Lead-Sänger Derek Shulman in Kombination mit der fragilen Stimme von Kerry Minnear lag, liegt die Latte doch sehr hoch. Schon beim VdGG-Sampler war dies, speziell was die gesanglichen Darbietungen betraf, erwartungsgemäß mächtig in die Hose gegangen. Ähnliche Ausfälle gibt es leider auch hier, doch glücklicherweise gibt es auch Positives zu berichten. Hier eine grobe Klassifizierung im Schnelldurchgang. Durchschnittliche Versionen, die keinem weh tun, aber auch nicht unbedingt hätten sein müssen von... Evolution ("I'm turning around"), Louie Mastro ("Acquiring the taste", kaum wiederzuerkennen), Chocking Smokers Band ("Nothing at all"), Raymon Benson mit einer Pianoversion des wohl schönsten und melodiösesten GG-Songs ("Think of me with kindness"), Algebra ("Funny ways"), Strange New Toys ("Inside out"), Zauber ("A reunion"). Als einigermaßen gut gelungen gehen bei mir durch... Fonya und Clarion (jeweils mit "Talybont". Warum der Titel zweimal vertreten ist - who knows?), French TV mit einer sehr jazzigen Variante von "Mister Class and Quality" und "Three friends" und The Works ("River") trotz eher mäßigen Sängers. Ausführungs- und soundmäßig sehr schwach dagegen der Versuch von Page, "Aspiration" zu covern. Überboten wird dies allerdings noch von Louie Mastro, der sich an "Cogs in cogs" versucht. So etwas Übles habe ich lange nicht mehr gehört. Wer solch einen Schund auf CD presst, kann eigentlich kaum noch ernstgenommen werden. Doch zurück zu den positiven Aspekten. Prima Songs abgeliefert haben: Sky Island ("In a glass house") und Glass Haus ("Just the same"), wobei das Line-Up beider Bands um Multiinstrumentalist Tom Benson nahezu identisch ist, sowie Dan Barrett (kein Solist, sondern komplette Band) mit dem Titel "Number one", in dem einige weitere GG-Schnipsel eingebaut sind. Ein Highlight dieses Samplers ist die 11½ minütige Version von "Wreck", gespielt von der italienischen Formation Ivanhoe The Giant, die hier eine beeindruckende Ideenvielfalt präsentieren, und reichlich eigenes Material integrieren. Diesen Namen sollte man sich merken, doch noch mehr Eindruck hat eine amerikanische Band auf mich gemacht, die berechtigterweise gleich mit zwei Titeln vertreten ist, nämlich Advent mit einem Medley aus "Experience" und "For nobody", sowie einer erstklassigen "Octopus"-Interpretation. Hier stimmen sogar die Gesangsarrangements, das ist geradezu sensationell. Ich bin mächtig gespannt, ob das Debütalbum, das bereits von Mellow angekündigt ist, der hohen Erwartungshaltung gerecht wird. Fazit: viele Bands genügen den gestellten hohen Ansprüchen bei weitem nicht, daher wäre es sinnvoller gewesen, sich auf die wirklich guten Versionen zu beschränken. Eine Einfach-CD hätte sicherlich ausgereicht, so jedoch bleibt eine gewisse Ratlosigkeit zurück, ob man eine Doppel-CD (die natürlich auch entsprechend teuer ist) mit derart großen Qualitätsschwankungen noch guten Gewissens empfehlen darf. Immerhin bleibt für mich die Erkenntnis, dass ich Bands wie Advent oder Ivanhoe The Giant unbedingt im Auge behalten werde. Wie GG in den 90ern klingen würden, haben die fast schon legendären Spock's Beard auf ihrem jüngsten Album vorgemacht: "Thoughts" ist für mich eines der besten Stücke der 90er überhaupt, schlichtweg genial!
Jürgen Meurer
© Progressive Newsletter 1997