Kuggur - Interglacial

Northern Goth • Atmospheric Ambient
(49:20; Digital, Bark At Your Owner Publishing, 21.11.2025)
Wir leben in einer Zwischeneiszeit. Zwischeneiszeiten sind instabile Zeiten großer Veränderungen. Veränderung ist die einzige Konstante in der Natur; ohne sie stagniert und erstarrt alles. Nach einer großen Kälteperiode folgt das Tauwetter, doch wenn es zu heiß wird, suchen wir kältere Klimazonen auf. Der große Wandel ist da; wie ein Gletscher hat er sich langsam auf uns zubewegt, doch nun kalbt er vor uns und bricht mit voller Wucht über uns herein. Schockwellen durchdringen nicht nur die trüben Gletscherwasser der Musikindustrie, sondern jeden Winkel menschlicher Intuition und künstlerischen Schaffens. Wir steuern auf ein Maximum der KI-Entwicklung zu, wo die Maschine den menschlichen Verstand ersetzen wird. Doch die Maschine ist tot, die Maschine ist kalt, die Maschine ist erstarrt. Wenn wir als Künstler und als Menschen überleben wollen, müssen wir lernen, Seite an Seite mit der Maschine zu leben und warme, kreative Täler zwischen den erstarrten Auslassgletschern der Maschine zu schaffen.“

Guðmundur Óli Pálmason ist Mitglied der doomigen Post-Blacker von Katla, erschafft mit Kuggur zwar düstere, aber wesentlich elektronisch-experimentellere Perspektiven. Musik aus Island ist erfahrungsgemäß mit vielen atmosphärischen Trademarks und Eigenwilligkeiten ausgestattet. Kuggar reiht sich hervorragend ein in die eigenwilligen Spielwiesen – speist aus Einflüssen nordischer Melancholie, Ambient, Folk, Drone und experimentell-sperrigem Dark Wave.

Elektronisch, kühle monotone Loops, ein etwas höherer Gesang – der mich hier und da an Isafjord’s Ragnar Zolberg erinnert – stellen auf „Interglacial“ das gewisse Sound-Fundament. Die elektronisch erzeugten Rhythmen erzeugen mit hypnotischen Wiederholungen eine Art rituelle Monotonie, die von sphärisch-kalten Synths und eher sparsamen Vocals im Spannungsfeld zusammengehalten werden.

Dark Wave und moderne abstrakte Goth-Einflüsse sind vorhanden, aber letztlich ist es eher mal wieder dieser sehr eigenwillig nordische Tune, der sich eher über die kargen Landschaften und Stimmungsbilder definiert, als gängigen Szene oder Genre-Vertretern nachzueifern. Piano-Klänge, mal sanft und still, schaffen immer wieder gezielte harmonische Blaupausen. Dementsprechend pulsieren die Beats wie in ‚There’s No Reason To Be Afraid‘ dann gleich um einiges kontrastreicher.

‚TYDIH‘ variiert ebenfalls zwischen düsterem Piano, Drone-Ambient Sounds und Bildern der kargen und fröstelnden Weite Islands. So wie manche Mondlandschaft auf Island faszinierend, aber kalt und abweisend anmutet – so vibriert hier über fast neun Minuten ein schwelend orchestraler Sound-Teppich vor sich hin, der mich in seiner Reduktion auf simple, stoische Loops an so manch David Lynch oder Sci-Fi-Soundtracks von John Carpenter erinnert.

Orchestral ist das Stichwort, flutet ‚The Return Of The Birds Of Spring Part 2‘ gerade zu mit Bombast-Elementen aus Klassik und Industrial. Stimmen-Samples, kurze Anfälle von New Wave Theatralik (‚Doesn’t Mean We Can’t Dance‘) und die Kombination zwischen minimal nächtlich-elektronisch und rhythmisch mit Gesang hat in diesem Format was Eigensinniges, Faszinierendes und ist für den dunklen Abend erneut eine geeignete Rezeptur. Hörer ohne Scheuklappen, bitte vortreten.
Bewertung: 11/15 Punkten

Surftipps:
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Abbildungen: Kuggur/Bandcamp