Brutus - Live In Brussels

Post Hardcore • Post Rock • Punk
(1:32:16; Vinyl (3LP), 2CD, 2MC, VHS, Digital; Hassle Records/Cargo; 28.11.2025)
Wer Brutus in einer kleinen, überhitzten Location erlebt hat – wie ich damals im Januar 2023 in der Stummschen Reithalle in Neunkirchen, wo die Wände schwitzten und die Luft vibrierte –, der weiß, welche tektonische Kraft dieses Trio auslösen kann. Dass diese Band früher oder später ein Live-Dokument ihrer „Unison Live“-Tournee vorlegen würde, das mehr ist als bloß ein Konzertmitschnitt, schien unausweichlich. Doch „Live In Brussels“ ist nicht einfach ein Livealbum. Es ist ein Denkmal und ein destilliertes Selbstporträt einer Band am Ende eines dreijährigen Ausnahmezustands.
Aufgenommen am dritten von drei ausverkauften Abenden im legendären Ancienne Belgique, wo Brutus im Zuge des finalen Tourabschnitts zu „Unison Life“ vor insgesamt 6.000 Fans spielten, zeigt die Band sich in einer Form, die man rückblickend wohl als die endgültige Verwandlung vom Geheimtipp zur Institution bezeichnen muss. Von Clubs zu Hallen, von Watchlists zu Headliner-Runs, von Hamburgs Kleinststages bis zur rappelvollen Großen Freiheit 36 – der pressetextliche Superlativ ist in diesem Fall keine Marketing-Floskel, sondern nüchtern protokollierte Realität.
Doch Brutus wären nicht Brutus, wenn sie all diese Entwicklung nicht mit derselben Demut erführen, die sie auch live antreibt: im Kreis stehen, kein Stargehabe, keine Gesten für Arenen. Nur ein Schlagzeug am Bühnenrand, eine Stimme, die gleichzeitig bricht und sticht, Gitarren, die schweben und schneiden, und ein Bass, der den Raum verschiebt.
Schon das als erstes Live-Video ausgekoppelt ‚War‘ setzte den Ton: ein Zusammenprall aus zitternder Fragilität und eruptivem Nachdruck. Wer Brutus kennt, weiß, dass diese Spannung ihr eigentlicher Lebensraum ist. Und doch wirkt in Brüssel alles noch eine Spur klarer, endgültiger.
‚Victoria‘, in Neunkirchen einst ein früher Gipfelmoment des Sets, erhebt sich hier zu etwas Hymnischem, beinahe Feierlichem. Stefanie Mannaerts‚ Stimme – ein Phänomen, das schon in kleineren Räumen jede Materie durchdringt – spannt sich über den gesamten Saal wie eine zweite Lichtquelle. Keine Show, kein Pathos, nur Intensität in Reinform.
Wo das Publikum anfangs in Neunkirchen noch leicht zögerlich wirkte – die ungewöhnliche Rollenverteilung mit der Sängerin am Schlagzeug sorgte vielfach für ungläubiges Staunen –, ist in Brüssel vom ersten Ton des eine Einheit bildenden Opening-Duos ‚Miles Away‘ und ‚Brave‘ an völlige Hingabe spürbar. Man hört sie. Man fühlt sie. Und Brutus spielen, als würden sie diese kollektive Energie direkt in kinetische Energie umwandeln.
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Als die ersten Basswellen von ‚Space‘ durch das Ancienne Belgique gleiten, erinnert man sich zwangsläufig an jene Passage aus Neunkirchen, als dieser Song die Atmosphäre kippte und plötzlich alles in eine Art schwebende Schwere versetzte – irgendwo zwischen „Voyage 34“ und urbaner Nachtluft. In Brüssel gelingt genau das wieder, nur größer, greifbarer, intensiver. Es ist der Moment, in dem man merkt, dass Bild und Ton des geplanten Konzertfilms wohl tatsächlich das einfangen werden, was Brutus erreichen wollen: nicht bloß ein Konzert zu reproduzieren, sondern eine Nacht zu konservieren.
Das letzte Drittel des Albums – mit ‚Fire‘ und ‚Dust‘, dem relativ neuen, erst 2024 erschienen ‚Paradise‘, dem post-metallischen ‚Desert Rain‘, dem rohen, punkigen ‚All Along‘ und schließlich dem gewaltigen über 13-minütigen ‚Sugar Dragon‘ – ist eine einzige Steigerung, ein orchestriertes Überdrehen aller Regler. Wer „Unison Life“ mochte, wird hier die gelebte, atmende, überkochende Variante dieses Albums finden. Brutus holen alles aus sich heraus und schaffen dennoch Platz für Feinheiten für die fiebernde Offensivität von ‚Chainlife‘, für das verletzliche Innehalten in ‚What Have We Done‘.
Das finale ‚Sugar Dragon‘ – live schon immer ein Crescendo, das irgendwo zwischen Psych, Post, Punk und Prog hängt – wird hier endgültig zur Endstufe. Wie in Neunkirchen nur eben größer, massiver, klarer. Ein Song, der nicht ausklingt, sondern nachbebt.
„Live In Brussels“ ist nicht nur eine Dokumentation des Tourabschlusses zu „Unison Life“. Es ist ein Statement einer Band, die in den letzten Jahren global gewachsen ist, ohne die Fragilität, Nahbarkeit und physische Direktheit zu verlieren, die ihren Kern ausmacht.
Für Brutus-Fans ist dieses Album ein Geschenk.
Für alle anderen eine Einladung, endlich zu verstehen, was an diesem Trio so besonders ist.
Und für jene, die Brutus bereits im überfüllten Hexagon von Neunkirchen oder in ähnlich engen Räumen erlebt haben, ist es eine Art Wiederbegegnung: mit der Erinnerung daran, wie es sich anfühlt, wenn eine Band gleichzeitig mit maximaler Kraft und maximaler Verletzlichkeit spielt.
Bewertung: 13/15 Punkten

Besetzung:
• Stefanie Mannaerts – Chlagzeug & gesang
• Stijn Vanhoegaerden – Gitarre
• Peter Mulders – Bass
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Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise Starkult zur Verfügung gestellt.