Raphael Weinroth-Browne - Lifeblood

Modern Classical • Progressive Metal • Cinematic Prog • Oriental Metal
(51:55; Vinyl, CD, Digital; Eigenveröffentlichung; 03.10.2025)
Es ist ein paar Wochen her, dass „Lifeblood“ bei mir aufschlug. Ich schätze Raphael Weinroth-Brownes Arbeit bei Leprous sehr, aber ein komplettes Celloalbum? Der Reiz war gering. Bis ich doch reinhörte – und mir die Kinnlade genauso fiel wie damals bei Apocalypticas Debüt. Nur dass Weinroth-Browne den Finnen hier nicht nacheifert, sondern sie eher in einen langen Schatten stellt.
Manche Musiker nutzen ihr Instrument als Werkzeug, andere machen es zu einer Erweiterung ihres Körpers. Raphael Weinroth-Browne gehört zur dritten Kategorie: Er verwandelt sein Cello in ein eigenes Wesen, das klingt, als würde es von reiner Hochspannung angetrieben. „Lifeblood“ zeigt sofort, warum seine Streicher bei Leprous oft sitzen wie präzise Körpertreffer.
Schon der Opener ‚Lifeblood‘ räumt mit dem „warm und melancholisch“-Klischee ab: Das Cello knarzt, hämmert, brodelt – eine Mischung aus Jo Quail, Myrath und dystopischem Maschinenraum. Schnell war mir klar: Ich hätte viel früher reinhören sollen. Raphael mischt progressive Metal-Ekstase, arabische Maqams und finstere Klangräume so selbstbewusst, als sei das die normalste Sache der Welt.
Stücke wie ‚Possession‘, ‚Ophidian‘, ‚Pyre‘ und ‚Labyrinthine‘ zeigen die ganze Bandbreite: besessen, reptilisch, feurig, verschachtelt. Sein Cello wechselt dauernd die Identität, bleibt aber immer als ein einziger, organischer Klangkörper erkennbar.
Highlight des Albums ist allerdings das hochkomplexe und spannende’Labyrinthine‘, dass sich in über elf Minuten von zartem Gezupfe zu einem mehrstimmigen Streichorchester emporschwingt, nur um letztendlich über sich hinauszuwachsen, um in Meshuggah-Sphären emporzureichen.
In ‚Nethereal‘ treffen cineastisch anmutende Ambientflächen auf robust klingende Percussion-Sounds, während ‚Winterlight‘ wie ein entspannter Spaziergang durch eine verschneite Landschaft anmutet, bevor das manchmal verträumte, manchmal sakrale ‚The Glimmering‘ ein wunderbares Album auf magische Art und Weise abrundet.
Thematisch geht es um den künstlerischen Rausch, die dunklen Seiten von Begabung und die Suche nach Inspiration. „Lifeblood“ will nicht zärteln, sondern brennen, zehren und überwältigen – und hält dabei eine erstaunlich klare Linie.
Fans von Jo Quail, Apocalyptica, Leprous oder generell Menschen, die dachten, Cellos seien primär für Bach zuständig, dürften hier begeistert kapitulieren. Wer „Worlds Within“ mochte, bekommt die wildere, rohe, intensivere Version.
Unterm Strich ist „Lifeblood“ kein gewöhnliches Album, sondern eine kontrolliert gezündete Selbstentzündung im Celloformat: 55 Minuten elektrisierte Hingabe und instrumentale Grenzverschiebung. Raphael zerlegt sein Instrument, setzt es neu zusammen und testet, ob es auch als Kraftwerk taugt. Spoiler: tut es.
Bewertung: 14/15 Punkten

Besetzung:
• Raphael Weinroth-Browne – Cello
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Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise Hold Tight zur Verfügung gestellt.