Lunatic Soul - The World Under Unsun

Progressive Rock • Ambient • Electronica • Folk
(1:29:56; Vinyl (2LP), 2CD, Digital; Mystic Production/InsideOutMusic/Sony Music; 31.10.2025)
Fünf Jahre sind vergangen, seit „Through Shaded Woods“ uns in jene moosbewachsene Zwischenwelt zwischen Pagan-Folk, Dark Ambient und introspektivem Art Rock hineinzog. Fünf Jahre, in denen Mariusz Duda keineswegs untätig war: Riverside veröffentlichten mit „ID.Entity“ eines ihrer zugänglichsten Alben überhaupt (samt Live-Nachschlag „Live ID.“), und parallel dazu baute Duda mit seinen Solo-EPs und dem Longplayer „AFR AI D“ ein elektronisches Universum, das zwischen Isolation, Lockdown und futuristischen Ambient-Experimenten oszillierte.
Und jetzt also „The World Under Unsun“ das achte Album seines 2008 gestarteten Projekts Lunatic Soul, wie immer mit viel Konzept, viel Atmosphäre und dieser ganz eigenen, kompromisslosen Handschrift, die Duda bewusst nie als Nebenprojekt verstanden wissen will. Und zurecht: „The World Under Unsun“ fühlt sich wieder wie ein zentrales Kapitel seiner musikalischen Selbstverortung an.
Schon die Ankündigung ließ die Frage offen: Wohin wird Duda dieses Mal steuern?
Die Antwort: überall hin – aber mit Methode. Denn „The World Under Unsun“ ist alles, was Lunatic Soul je war – in einer neuen Synthese.
„The World Under Unsun“ klingt wie eine bewusste Verdichtung aller stilistischen Strömungen, die das Projekt seit 2008 geprägt haben. Die sphärischen, manchmal verspielt mäandernden Ambientflächen treffen auf tribalartige Rhythmik, die an ‚Walking On A Flashlight Beam‘ erinnert. Warme Akustikgitarren, das markante Bassspiel, eine Prise balladeske Riversidehier, ein elektronischer Glühimpuls aus dem Solo-Kosmos dort – und über all dem: Dudas unverwechselbare Stimme, die gleichermaßen tröstet, beunruhigt und führt.
Es ist ein Album der Kontraste, aber nie der Brüche. Alles fließt – und doch, trotz knapp anderthalb Stunden Spielzeit, bleibt es spannend bis zum letzten Ton.
Der eröffnende Titeltrack ‚The World Under Unsun‘ ist klassisches Lunatic Soul: ein langsames Aufblühen, organische Percussion, Stimmen wie Nebel über stillem nebelverhangenem Wasser. Das bedrohlich anmutende ‚Loop of Fate‘ und das getragene’Good Memories Don’t Want To Die‘ wirken intimer, melodiöser, fast nostalgisch – Momente, in denen Dudas Songwriting in Reinform leuchtet.
Mit dem treibenden ‚Monsters‘ und dem at mosphärisch dichten ‚The Prophecy‘ driften wir tiefer in schamanisch anmutende Klangräume, bis das elfminütige Herzstück ‚Mind Obscured, Heart Eclipsed‘ die erste CD in eine vielschichtige Meditation verwandelt, die nicht nur aufgrund der vier Wörter in seinem Titel auf Pink Floyd verweist: Ein ständiges Sich-Herantasten an das Unsichtbare, getragen von subtilen Dynamikschüben und emotionaler Klarheit.
Die Piano-Ballade ‚Torn in Two‘ schließt die erste Hälfte mit einer Mischung aus Entrückung und innerer Spannung. Alles wirkt wie der Blick in einen Spiegel, der die eigene Silhouette leicht verzerrt zurückwirft – ein Motiv, das sich später noch verstärken wird.
Die zweite Disc beginnt mit ‚Hands Made Of Lead‘, einem Stück, das schwerer wirkt, fast bedrückend – als würde man durch dichten Nebel waten. Es folgen die elegische Wärme von ‚Ardour‘ und das ausufernde ‚Game Called Life‘, das das Thema Vergänglichkeit mit einem hypnotischen Groove umkreist.
‚Confession‘ und ‚Parallels‘ sind intimer, direkter, fast wie kurze Notizen aus einem Tagebuch.
Doch erst das fast zehneinhalbminütige ‚Self in Distorted Glass‘ bündelt das gesamte Album zu einem einzigen, großen Motiv: das Ringen mit dem eigenen Spiegelbild, dem verzerrten Selbst, dem Schatten unter der sichtbaren Welt. Ein Meisterstück – vielleicht das stärkste Stück des Albums.
Mit ‚The New End‘ schließt Duda das Werk so, wie er es begonnen hat: offen, atmend, mit der Andeutung eines neuen Weges. Kein großer Bombast, sondern eine stille, entschlossene Geste.
Lunatic Soul war musikalisch schon immer eine Reise ins Innere. „The World Under Unsun“ setzt diese Linie fort – aber nicht als Wiederholung, sondern als Weiterentwicklung.
Das Album greift thematisch erneut Fragen nach Identität, Vergänglichkeit, Bewusstsein und Transformation auf, ohne sie plakativ zu formulieren. Duda komponiert eher in Atmosphären als in Botschaften. Seine Inspirationen – Dead Can Dance, Peter Gabriel („Passion“), Mike Oldfield, Clannad, Hedningarna, Depeche Mode – sind spürbar, aber nie dominierend.
Stattdessen entsteht eine organische Synthese aus Ambient, Folk, Elektronik und Art-Rock – und zwar eine derart fließende, dass man als Hörer oft gar nicht merkt, wie viele stilistische Fäden hier verknüpft werden.
Mit „The World Under Unsun“ gelingt Mariusz Duda eines seiner kohärentesten, emotional reichsten und klanglich vielseitigsten Lunatic-Soul-Alben bislang. Es vereint die Wurzeln des Projekts mit den neuen Erfahrungen der letzten Jahre und wirkt dennoch frisch – niemals wie ein Selbstzitat.
Es ist Musik, die sich nicht aufdrängt, aber bleibt.
Musik, die einen begleitet – manchmal als Licht, manchmal als Schatten.
Ein klassisches Lunatic-Soul-Album, aber eines, das sich souverän in die Zukunft des Projekts schreibt.
Für Fans ein Pflichtkauf.
Für Neueinsteiger: vielleicht der perfekte Einstieg, weil hier alles enthalten ist, wofür Lunatic Soul steht.
Ein Album unter einer unsichtbaren Sonne – und eines, das lange nachglüht.
Bewertung: 12/15 Punkten

Besetzung:
• Mariusz Duda – vocals, backing vocals, piano, keyboards, acoustic guitar, bass, piccolo bass, percussion
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Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Oktober Promotion zur Verfügung gestellt.