Gìsli Gunnarsson - Úr Öskunni

Post Rock • Nordic Artrock • Ambient • Cinematic Rock • 
(42:54; Vinyl, CD, Digital; By Norse Music; 07.11.2025)
Der schiere Wahnsinn – wieder so eine Veröffentlichung aus dem hohen Norden, die einfach nur zum Niederknien anbetungswürdig ist. Ich kannte den Isländer bisher nicht und ja, es reißt nicht ab in Sachen atmosphärischer Highlights. Wenn du Alcests himmlisches Album „Shelter“ vergötterst – vor allem den Übersong und Rausschmeißer ‚Delivrance‘ – dann wird dich dieses edle Stück Musik hier so schnell nicht mehr loslassen.

Die Eleganz/Epik der Japaner von Mono schwingt jederzeit im mal fragilen, dann wieder berstend -aufwühlenden Post Rock des Isländers mit – den außerweltlichen Vibe der Landsleute von Sigur Rós und Ólafur Arnalds darfst du außerdem als Wegweiser wahrnehmen. Wall-of Sound-/Crescendo-Momente zuhauf – diese werden in dieser schwebenden, berührend nordischen Musik auf so vielfältige Weise formuliert. Allerhand soundtrackartige Abschnitte finden sich zu einem nur als wunderschön zu bezeichnenden Stück nordischer Musik zusammen.

Gunnarsson lässt die Ereignisse um die zerstörerischen Vulkanausbrüche – den Verlust von Sicherheit in seiner Heimatstadt Grindavik in seinen emotionalen Sound mit einfließen – klingt selbst mit seinen weichen Vocals wie die perfekte Melange aus Neige (Alcest) und Jonsi (Sigur Rós).

Ob mit sanften intimen Piano-Klängen, bedrückend opulenten Streichern oder massiv-drückender Gitarrenwand – immer wird wehmütig in schimmernden Polarlichtern musiziert. Alles ist beständig dramatisch, sehnsüchtig und soundtrackartig aufgeladen. Die emotionale Wucht, die Sensitivität, die musikalische Dynamik zwischen zerbrechlich und tiefgreifendem Bombast kratzt an den Nerven-Enden auf schmerzhaft-wunderschöne Weise.

Im Vergleich zu den üblichen Vertretern des filmischen Post Rock sind die Stücke eher durchschnittlich vier Minuten lang (leider!), aber dafür funktioniert die Platte wie ein langer Song, eine am Faden gestrickte Erzählung. Der Opener ‚Heima‘ frisst mich sofort mit Haut und Haaren, ähnlich ‚Kanata‘ von Mono auf der seinerzeit nur strahlenden „The Last Dawn“, zieht einen die Emotionalität – das einfach nur berührend Schöne im Klang der Gitarren/Streicher, generell der wehmütigen Melodien in die Tiefe. ‚Lúpína‘ ist so sanft mit seinem wundervollen Piano-Klang – schluchzende Geräusche und schmerzlichste Melancholie, so weit das traurige Auge reicht.

‚Andlitin í Berginu‘ – perlend und schluchzend die Gitarren, sanft und entrückt rauschhaft wie der schönste Alcest-Moment. ‚Aska‘ – majestätische Drones, Streicher und Epik bis zum dort hinaus. ‚Glókolla‘ könnte auch auf einen der letzten Hammock-Releases seinen Platz finden. Feinste ätherisch-neblige Sound-Schwaden, berührende Sigur-Rós-affine Vocals, Bombast und Emotion auch hier bis zu jedem Schmerzpunkt und darüber hinaus.

Sanfte Vocals und hymnisch-kraftvoller Post Rock vereinen sich in jubilierenden Songs wie ‚Söknudur‘ oder dem stampfenden ‚Pjófagjá‘ – hier gibt es mal richtig Bergmassive aus Gitarren-Riffs, wundervoll. Die Produktion ist klar wie die winterlichste Polarnacht – es kratzt und beißt mit cinematisch-aufputschenden Orchester-Partituren.

Kontraste von stiller Sanftmut zu Vulkan-Ausbrüchen sind perfekt in Szene gesetzt. Im letzten Stück schraubt sich nochmal alles die eisige Bergwand hinauf und perlt wie große Gletscher ins Meer – großes emotionales, feierliches Post-Metal-Kino hier, welches mir nochmal ordentlich unter die Haut geht.

Wer die Weite Islands, vor allem im Menschenleeren Nordwesten durchfahren durfte, weiß wie wunderschön rau dieses Land ist und was es in einem wachzurufen vermag. Gísli Gunnarsson ist ein nächstes WOW aus dem hohen Norden, und wieder weiß Musik mich ins Tal der Tränen hinab zu ziehen, ist an dieser Sehnsuchts-Platte wahrlich jede Note einfach nur pure Schönheit.
Bewertung: 14/15 Punkten


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Abbildungen: Gísli Gunnarsson/Bandcamp