Beat - Neon Heat Disease Live In Los Angeles

Progressive Rock • Artrock • Prog Fusion
(1:50:54; Vinyl (3LP), Blu-ray + 2CDs, Digital; InsideOutMusic/Sony Music; 26.09.2025)
„Neon Heat Disease Live In Los Angeles“ in der Doppelbetreuung
Teil 1: Ralf Schweikart
Vier ziemlich ältere Herren, der jüngste 64, der älteste 79, spielen älteres Zeug. Das klingt so, als wäre das nur für musikalische Nostalgiker interessant. Aber wenn das gespielte ältere Zeug nahezu die kompletten drei King Crimson-Alben „Discipline“, „Beat“ und „Three of a Perfect Pair“ aus den 1980er Jahren umfasst und neben den Original-KC-Mitgliedern Adrian Belew und Tony Levin auch Steve Vai (Solo, G3, Frank Zappa) und Danny Carey von Tool mit dabei sind, dann heißt es: hört, hört!
Ein kurzer Blick zurück: Als 1981, sechs Jahre nach einer der vielen Auflösungen der Band, Robert Fripp und Schlagzeuger Bill Bruford über ein neues Projekt nachdachten, überzeugten sie als weitere Mitglieder Tony Levin, Bass und Chapman-Stick, und den Gitarristen Adrian Belew, noch nass geschwitzt von der „Remain in Light“-Tour der Talking Heads. Nicht nur aus Vermarktungsgründen wurde schnell klar, dass die entstandene Musik doch unter dem Namen King Crimson erscheinen würde, aber durch zwei neben- und miteinander agierende Gitarristen mit einem gänzlich anderen Sound. Die von allen vier gemeinsam komponierten Songs mit Texten von Adrian Belew waren kompakter, zum Teil fast poppiger, mit experimentelleren und polyrhythmisch vertrackteren Ausreißern und einem technisch-kühlen Grundsound, der irgendwie Trend war in jener Zeit, erinnert sei nur an 90125 von Yes, erschienen 1983. Nach den auch kommerziell erfolgreichen drei Alben und Touren folgte 1984 die Auflösung, mal wieder, und allerlei rechtliche Scharmützel mit dem Management.
Während in den späteren Jahren die diversen King Crimson-Line-ups nur wenige Songs aus dieser Zeit live spielte, nahm insbesondere Adrian Belew einige mit in andere Projekte, zum Beispiel ins Adrian Belew Power Trio. Bis ihm in Zeiten der Pandemie die Idee kam, alle Songs auf die Bühne zu bringen. Tony Levin war von Beginn an dabei, dazu kamen Steve Vai und Danny Carey, und den Segen von Robert Fripp gab es obendrein. Und siehe da, nach einiger Verzögerung durch die Pandemie und einem verspäteten Start der dann sehr erfolgreich verlaufenden Tour zuerst in Nordamerika liegt jetzt das überfällige Ton- und Videodokument eines Konzerts vom 10. November 2024 in Los Angeles vor. Völlig zu Recht.
Dass die alten Haudegen ihr Songmaterial im Schlaf können – geschenkt. Doch man beachte: Belew ist mittlerweile 75, Levin 79 Jahre alt. Und den Spaß am Spielen sieht man vor allem dem zwischendrin wie ein Honigkuchenpferd grinsendem Belew jederzeit an, der auch stimmlich alle Klippen sauber meistert, wenn es nicht allzuweit in die Höhen geht. Spannend sind die zwei „Neuen“. Dass Danny Carey die Bruford-Parts souverän wegtrommelt und dafür sogar ein paar E-Drums mit einbaut, war zu erwarten. Deutlich schwieriger ist die Aufgabe von Steve Vai. Er spielt Robert Fripps Parts teilweise sehr fripperesk – weil er’s kann. Obwohl er selbst in einem Interview einräumt, dass er nach Schulter- und Hand-OP und mit 65 Jahren nicht mehr die Fingerfertigkeit besitzt, um auf dem gleichen Level das (nach) zu spielen, was der sich damals in den Mit-Dreißigern befindliche Robert Fripp in äußerster Präzision auf den Bund gezaubert hat.
In diesen Passagen verlässt er sich auf seinen Gitarrentechnik-Baukasten, um den Originalsound zumindest zu simulieren – und vergalloppiert sich in den Soli schon mal mit seinem Tapping und dem Tremolohebel im Händchen. Kann man als kreativen Freiraum interpretieren, muss man aber nicht. Glücklicherweise kommt das nur selten vor.
Mit dem Druck und der Power von Bass und Schlagzeug klingen die Songs nie nach Stadthallen-Coverband, sondern auch nach 40 Jahren frisch und stellenweise sogar rockiger als im Original und dem 2024 veröffentlichten Livealbum „The Sheltering Skies“ (Live in Fréjus, August 27th 1982) der Originalbesetzung. Wer es also zugänglicher mag und diese KC-Phase nicht als negativen Ausrutscher der Bandgeschichte abtut, der wird mit Beat jede Menge Spaß haben.
Bewertung: 12/15 Punkten
Teil 2: flohfish
Manchmal passiert es einfach: Man hört etwas, das man kennt – und doch ist es plötzlich neu. ist genau das. Vier Giganten, Manchmal passiert es einfach: Man hört etwas, das man kennt – und plötzlich ist es neu, funkelnd, anders. Beats „Neon heat Disease Live In los Angeles“ ist genau das. Vier Giganten, die eigentlich aus verschiedenen Sphären stammen – Adrian Belew und Tony Levin, die unerschütterlichen Eckpfeiler von „King Crimson“, Steve Vai, der Gitarrenvirtuose par excellence, und Danny Carey, der Tool-Schlagzeuger, der jedes Universum zum Vibrieren bringt – nehmen die drei ikonischen Crimson-Alben der 80er Jahre („Discipline“, „Beat“, „Three Of A Perfect Pair“) und füllen sie mit einem Vokabular, das gleichzeitig vertraut und fremd wirkt.
Der erste Track, ‚Neurotica‘, ist sofort ein kleiner Schock: Präzision trifft Wahnsinn, Struktur verschränkt sich mit Spielfreude. Belews Gitarre spricht in Mustern, die man kennt und doch nie gehört hat; Vai antwortet mit einer Eleganz, die komplex und gleichzeitig fließend wirkt. Carey presst das Schlagzeug in polymetrische Abgründe, Tony Levin webt die Basslinien wie Fäden durch ein pulsierendes Klanggewebe. Alles balanciert auf einem schmalen Grat zwischen Chaos und Perfektion.
‚Frame By Frame‘ ist ein Tanz auf Messers Schneide. Steve Vai nennt seine Parts ‚Todesmutig‘ – und das stimmt. Melodie und mathematische Komplexität verschränken sich zu einem Teppich aus Spannung und Leichtigkeit. Man spürt: hier geht es nicht um Nostalgie, hier geht es um Musik, die atmet, lebt und sich entfaltet.
Die Balladen kommen nicht zu kurz: ‚Matte Kudasai‘ flackert wie ein zartes Licht inmitten des virtuosen Gewitters. Während ‚Elephant Talk‘ vor rhythmischer Spielfreude nur so sprüht. Es ist ein ständiges Wechselspiel zwischen Kontrolle und Freiheit, Arrangement und Improvisation – und genau das macht den Reiz aus: man will es nicht auseinandernehmen, man will eintauchen.
Die Produktion ist kristallklar und doch warm, organisch, lebendig. Bob Clearmountain am Mischpult hat nicht einfach abgebildet, er hat inszeniert: jede Gitarre, jeder Bass, jeder Schlag, jede Stimme sitzt perfekt, ohne dass die Spielfreude verloren geht. Die Blu-ray zeigt es deutlich: man sieht nicht nur, man fühlt die Energie, das Aufeinander-Hören, die Liebe zur Musik, die zwischen Bühne und Publikum fließt.
„Neon heat Disease Live In los Angeles“ ist mehr als ein Tribut an die Crimson-Alben der 80er. Es ist ein Gespräch über Jahrzehnte Rockgeschichte, eine Demonstration, dass Virtuosität und Emotion keine Gegensätze sein müssen. Laut und leise, komplex und klar, vertraut und überraschend – wer dachte, King Crimson sei ein Relikt, wird hier eines Besseren belehrt.
Hoffen wir, dass die vier Herren mit diesem Programm dann auch endlich irgendwann nach Europa kommen werden.
Bewertung: 12/15 Punkten

Besetzung:
• Adrian Belew – Gitarre, Gesang
• Tony Levin – Bass, Chapman Stick, Keyboards, Backing Vocals
• Steve Vai – Gitarre
• Danny Carey – Schalagzeug
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Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Surftipps zu Oktober Promotion: zur Verfügung gestellt.