Between The Buried And Me - The Blue Nowhere
Progressive Metal • Eclectic • Tech Metal
(1:17:20; Vinyl (2LP), CD, Boxset (2LP + 2CD), Digital; InsideOut Music/Sony Music, 12.09.2025)
Manchmal denkt man ja, dass bei Between The Buried And Me nichts Neues mehr kommen kann. Nach „Colors II“ schien das Maß an Wahnsinn, Virtuosität und Konzeptkunst endgültig ausgeschöpft. Und dann knallen einem die Amerikaner doch wieder eine Wundertüte voller neuer Ideen vor den Latz. „The Blue Nowhere“ zeigt einmal mehr: Diese Band hat noch lange nicht fertig.
Schon der Opener ‚Things We Tell Ourselves In The Dark‘ wirft alle Erwartungen über den Haufen. Was zum Teufel ist denn hier los? Ein Funk-Monster mit Bläsern und Streichern, das groovt wie Sau und gleichzeitig proggy as fuck ist. Überall schimmern die 80er durch, allen voran Yes in ihrer „90125“-Phase. Und, Überraschung: auch die australischen Pop-Rocker INXS blinzeln durch die Ritzen. Das eigentlich Unglaubliche daran: Trotzdem bleibt das Stück jederzeit unverkennbar ein Between The Buried And Me-Song. Mit einer fast schon beängstigenden Leichtigkeit hat sich die Band diese Stile zu eigen gemacht und in ihr eigenes Klanguniversum integriert.
Dass der erste echte Bruch nicht innerhalb des Openers, sondern erst in Form des zweiten Stücks folgt, ist charakteristisch für dieses Album. Und was für ein Bruch das ist: ‚God Terror‘ zeigt die harsche Seite von Tommy Rogers. Wo zuvor fast ausschließlich Cleangesang dominierte, presst er hier seine Growls in den Vordergrund. Dazu Gitarrenriffs, die an Pantera erinnern, dezente Industrial-Sounds und hier und da sogar ein Aufblitzen von Megadeth – ein massiver Kontrast, der die Bandbreite des Albums früh klarstellt.
Und so geht es weiter. ‚Absent Thereafter‘ verbindet kontrollierte Raserei, vor allem in den ersten zweieinhalb Minuten, mit hymnischen Hooks und einem Chorus zum Niederknien. Überraschend ist aber vor allem, dass sich dieses Stück zu einer waschechten High-Speed-Rock’n’Roll-Nummer entwickelt – natürlich mit ganz spezieller Between The Buried And Me-Note. Ganz am Ende blitzen sogar Anleihen an System Of A Down im Gesangsstil sowie an The Blues Brothers in den Bläsern auf.
‚Pause‘ gibt dem Hörer für einen Moment Luft, bevor mit ‚Door #3‘ die Tür zu einem der sperrigsten, aber auch faszinierendsten Songs der Platte aufgestoßen wird. Das Stück ist ein eigenwilliger Bastard aus Mathcore, Avantgarde und theatralischem Bombast. Immer wieder scheinen kurze Ruheinseln auf, wie etwa die clean gesungene Akustikpassage ab Minute 3:20, nur damit im nächsten Moment schrille Taktverschiebungen und abrupte Rhythmuswechsel alles wieder einreißen. ‚Door #3‘ ist kein Song, den man nebenbei hört – es ist ein wütendes, wildes Puzzle, das sich erst nach mehreren Durchläufen erschließt. Ein Song, der mehr fragt als beantwortet, und genau dadurch seine Faszination entwickelt.
Das Interlude ‚Mirador Uncoil‘ windet sich irgendwo zwischen Psych-Rock, Musiktheater und Jazzfusion, ‚Psychomanteum‘ zieht uns in eine über elfminütige düstere Traumwelt mit Monsterchorus und Parallelen zu Dream Theater. ‚Slow Paranoia‘ kanalisiert klaustrophobische Beklemmung kontrastreich in Jazz, Orchestermusik und Brutalität. Bis sich Between The Buried And Me auf den beiden letzten Nummern so zugänglich wie noch nie präsentieren. ‚The Blue Nowhere‘ explodiert in all seiner radiofreundlichen Pop-Güte.
Zum Schluss erdet ‚Beautifully Human‘ dieses irrlichternde Kaleidoskop wieder mit einer fast hymnischen Eingängigkeit.
„Teapot of the Week“ auf Betreutes Proggen in der KW37/2025
Wichtig: diesmal kein Konzeptalbum. Keine übergeordnete Handlung, keine metaphernreiche Storyline. Die Songs stehen für sich, und genau dadurch wirkt „The Blue Nowhere“ als Gesamtwerk so zugänglich wie zuletzt „Coma Ecliptic“. Zugänglich heißt hier aber nicht zahm: Die Band jongliert noch immer mit unzähligen Stilen, aber dadurch, dass jeder Song sein eigenes kleines Universum ist, lässt sich das Album erstaunlich leicht genießen – in Häppchen oder am Stück.
Die Stilvielfalt ist so typisch Between The Buried And Me – und doch wieder anders. Überraschende Inspirationsquellen werden herangezogen, von Prog-Veteranen bis zu unerwarteten Pop-Ikonen. Das Ergebnis ist ein ebenso wildes wie schlüssiges Ganzes. Vergleiche mit Faith No Mores „King For A Day… Fool For A Lifetime“ sind nicht aus der Luft gegriffen – nur dass jenes Werk im Vergleich fast schon wie Schonkost wirkt. Und ja, Tommy Rogers ist kein Mike Patton; dessen stimmliche Variabilität bleibt unerreicht. Aber was Rogers an Charisma, Emotionalität und Eigenständigkeit einbringt, reicht völlig aus, um den Wahnsinn dieser Platte zu tragen.
Produziert von Jamie King, klingt das Ganze gewohnt transparent, detailreich und wuchtig. Paul Waggoners messerscharfe Gitarren, Dan Briggs’ omnipräsenter Bass und Blake Richardsons unerschütterliches Drumming sind die vertrauten Eckpfeiler – doch die Streicher- und Bläsersektion verleiht dem Sound neue Dimensionen, ohne die Kanten abzuschleifen.
Nach 25 Jahren könnte man meinen, Between The Buried And Me würden sich in Routine verlieren. „The Blue Nowhere“ beweist das Gegenteil: ein Album voller Spielfreude, Chaos, Humor und Menschlichkeit. Eine wilde Mischung aus Tagebuch und Totentanz, Funkmonster und Orchesterbombast, Wundertüte und Wahnsinn.
Bewertung: 13/15 Punkten
Besetzung:
• Tommy Rogers – vocals/keys
• Paul Waggoner – guitars
• Dan Briggs – bass/keys
• Blake Richardson – drums
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Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Oktober Promotion zur Verfügung gestellt.