Beth Gibbons, Seamus Fogarty, 09.07.25, Lëtzebuerg (LU), Neimënster
Intimität und orchestrale Größe
Um Portishead war es in den letzten Jahrzehnten still geworden, sodass es immer wieder eine kleine Freude ist, Beth Gibbons’ Stimme auf anderen Projekten zu hören – sei es auf „Out Of Season“, ihrer Zusammenarbeit mit Talk-Talk-Bassist Paul Webb alias Rustin Man, oder im letzten Jahr auf „Lives Outgrown“, ihrem ersten echten Soloalbum. Umso größer war die Überraschung, als die Ankündigung einer Europa-Tour durchs Netz ging: die ersten Auftritte von Beth Gibbons seit der Portishead-Tour 2014/2015 – und ihre erste Solo-Tournee seit 2002 (wenn man die gelegentlichen Auftritte unter dem Banner Beth Gibbons & Rustin Man außen vor lässt).
Das luxemburgische Konzert im Innenhof der ehemaligen Abtei Neimënster erwies sich als besonders reizvoll. Ein Ort, der Atmosphäre atmete und die Darbietung wie von selbst in Szene setzte. Das Publikum war ein kurioser, aber faszinierender Mix: visuell heterogen, kaum in eine Schublade zu stecken, voller individueller Stile. Bandshirts? Fehlanzeige. Das Alter der Besucher spannte sich über Generationen, und doch wirkte alles stimmig – fast wie ein bewusst zusammengewürfeltes Kunstwerk aus Menschen.
Seamus Fogarty
Eröffnet wurde der Abend durch den irischen Singer-Songwriter Seamus Fogarty, der von seinem Bruder John am Akkordeon begleitet wurde.
Ein Auftritt, der für Freunde progressiver oder experimenteller Klänge nur wenig Interessantes bot, denn, wie in diesem Genre üblich, standen die Texte seiner Lieder weit mehr im Mittelpunkt als die Musik selbst.
Ein netter Einstieg – für mich persönlich jedoch kaum mehr: Ohne das Verständnis seiner Texte wirkte Fogartys Gitarrespiel wie einfache Lagerfeuermusik.
Beth Gibbons
Nach diesem ruhigen Auftakt betrat Beth Gibbons die Bühne und verwandelte den Innenhof sofort in einen Ort voller Spannung und Intimität.
Der Beginn des Konzertes stand ganz im Zeichen des aktuellen Albums (‚Tell Me Who You Are Today‘, ‚Burden Of Life‘, ‚Floating On A Moment‘, ‚Rewind‘ und ‚For Sale‘) – eigentlich des Abends insgesamt –, denn von „Lives Outgrown“ wurden gleich acht der zehn Stücke gespielt. Stilistisch erinnerte das Ganze stark an Portisheads akustisches Livealbum „Roseland NYC“, was angesichts der reduzierten, introspektiven Natur von Gibbons‚ Soloarbeiten keine echte Überraschung war. Trip-Hop-Elemente traten weitgehend in den Hintergrund; stattdessen dominierte eine intime, fast kammermusikalische Atmosphäre, die jedem Ton Raum ließ und Gibbons‚ Stimme wie einen zarten Schleier durch den Innenhof ziehen ließ – mal fragil und verletzlich, mal mit unerwartet orchestraler Größe.
Unterstützt wurde die Britin von einer siebenköpfigen Formation aus Gitarre, Schlagzeug, Keys und Bass sowie Streichern, Percussions und Blasinstrumenten. Immer wieder erhielten die Musiker eigenen Raum, sodass insbesondere ‚Rewind‘ zeitweise einen fast jamartigen Charakter entwickelte – eingebettet in einen warmen Klangstrom aus Streichern und perkussiven Akzenten.
Dass Beth Gibbons‚ Stimme nicht mehr so makellos klingt wie vor 30 Jahren, war an diesem Abend kaum wahrnehmbar. Kleine Unsicherheiten wurden von ihrer enormen Bühnenpräsenz mühelos überstrahlt – diese Mischung aus Zerbrechlichkeit und Kraft ist längst zu ihrem Markenzeichen geworden.
Herausstechend im Set waren die beiden Stücke aus der Kooperation mit Paul Webb, die noch intimer und zerbrechlicher wirkten als die Songs von „Lives Outgrown“. Besonders ‚Mysteries‘ sorgte für Gänsehaut, wenn Gibbons‚ rauchig-wehmütige Stimme nur von Piano und Akustikgitarre getragen wurde. Als sich darüber noch der Chorgesang legte, war es endgültig um mich und weite Teile des Publikums geschehen: ein Lied für die Ewigkeit, ein erster emotionaler Höhepunkt, gefeiert mit phänomenalem Applaus.
Das direkt anschließende ‚Lost Changes‘ präsentierte sich im orchestralen Gewand und zeigte die opulente Seite der Künstlerin. Weiche Percussions, tiefer Bass und geisterhafte Keys breiteten einen sanften Klangteppich, den Streicher und Bläser immer wieder durchbrachen und so zu wahrer Größe aufblähten.
Mit ‚Oceans‘ nahmen Gibbons und ihre Begleiter das Publikum mit auf eine Reise in die Weiten und Mysterien der Tiefsee, unterstützt durch tiefblaues Bühnenlicht. Bemerkenswert war hier die Leistung von Percussionist Howard Jacobs, der mit scheinbarer Leichtigkeit Blasinstrumente und Schlagwerk simultan spielte.
‚Tom The Model‘, das zweite Stück aus der Feder von Beth Gibbons & Rustin Man, geriet zum musikalischen Farbenspiel in herbstlichen Tönen – fragile, tief berührende Melodien und eine Gesangslinie, die einen innerlich verstummen ließ. Für mich persönlich war dies der emotionale Höhepunkt des Hauptteils, auch wenn noch zwei Nummern folgten: das heulende, bombastische und mit seinen schrägen Bläsersounds sowie vielstimmigem Bap-Bap-Bap-Gesang etwas an Beirut erinnernde ‚Beyond The Sun‘ sowie als Abschluss das aufs Wesentliche reduzierte ‚Whispering Love‘ mit seiner lieblichen Flötenmelodie.
Dass im Zugabenteil auch Portishead-Stücke zu hören sein würden, war für viele eine große Hoffnung – und wurde zur überwältigenden Gewissheit, als die ersten Takte von ‚Roads‘ erklangen. Ein Raunen ging durchs Publikum, und für eine ganze Weile schien die Zeit stillzustehen.
‚Glory Box‘ intensivierte diese Erfahrung: Gibbons‚ quietschend-weinerlicher Gesang zog einen unmittelbar in seinen Bann, allerdings ganz ohne das so charakteristische Gescratche, das man von der 1994er Studioaufnahme kennt, die auf Portisheads „Dummy“ zu finden ist. Und doch katapultierte einen das Stück mit einem von Wah-Wah-Effekten dominierten Gitarrensolo zurück ins Hier und Jetzt – erst recht, als die Bühne in sattes rotes Licht getaucht wurde und ‚Glory Box‘ durch treibende Rhythmik eine danceable-as-fuck-Energie erhielt.
Als Abschluss ihres Konzertes wählte Beth Gibbons eine weitere Nummer ihrer aktuellen Scheibe und machte noch einmal deutlich, wie sich ihre Musik über die Jahre entwickelt hat: In ‚Reaching Out‘ dominierten erneut orchestrale Streichersounds, mächtige Percussions und akzentuierte Einsätze von Blasinstrumenten.
Ein würdiger Abschluss für einen berührenden Konzertabend, der noch lange in den Erinnerungen nachschwingen wird.
Fotos: Prog in Focus
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Rezensionen:
„Lives Outgrown“ (2024)
Henryk Górecki – „Symphony Nr. 3 (Symphony Of Sorrowful Songs)“ • Performed By Beth Gibbons & The Polish National Radio Symphony Orchestra • Conducted by Krzysztof Penderecki (2019)
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Veranstalter: A-Promotions
Venue: neumünster