Progdreams VIII Festival, 20.-22.09.19, Zoetermeer (NL), De Boerderij

Der jährliche Besuch des Progdreams-Festivals in der Boerderij, unweit der niederländischen Metropole Rotterdam, gehört für einige der Betreuten Progger von Beginn an zur unverzichtbaren Tradition. So zählt dieses Festival bereits seit einigen Jahren zu den musikalischen Highlights und sollte im gleichen Atemzug wie das Artrock Festival in Reichenbach und Night of the Prog auf der Loreley genannt werden.

Von Beginn an läutete der sehr sympathische Veranstalter Arie Verstegen stets das Frühjahr mit einer illustren Schar an Prog- und Rockbands ein, umso größer war die Überraschung für die Fans, dass das Festival nun seinen Platz zu Beginn des Herbstes erhalten hat, zumal sich seit geraumer Zeit hartnäckige Gerüchte hielten, die von einem kompletten Verzicht ausgingen. Das hätte allerdings auch keine Verwunderung hervorgerufen, da doch viele der Szeneveranstaltungen mit einem wachsenden Besuchermangel zu kämpfen haben. Die Gründe dafür sind vielschichtig und es würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen, diese vollumfänglich zu diskutieren. Zudem sollte man sich eher an unermüdlichen Enthusiasten wie Arie erfreuen, die immer noch, sind die Risiken einer derartigen Veranstaltung auf sich nehmen. Wie gesagt, Arie ist einer, der mit dem VIII. Progdreams Festival seine treuen Musikfreunde erneut zu begeistern wusste. Vor allem sein Mut, neben den bekannten Urgesteinen der Prog- und Rockmusik auch bislang völlig unbekannten Bands eine Plattform zu bieten, ist bemerkenswert. Für die ein oder andere Perle, ich denke da z.B. an das Mayra Orchestra, dürfte diese Chance sehr willkommen gewesen sein, den eigenen Bekanntsheitsgrad um einiges zu steigern.

In diesem Jahr schien das Lineup (Sky Architect – NL; The Paradox Twin – GB; Von Hertzen Brothers – SF; The Dame – NL; IT – GB; Verbal Delirium – GR; IO Earth – GB; Gazpacho – N; Franck Carducci – B; Gabriel Played Live by Brian Cummins – GB; John Hackett Band – GB und The Watch – I) eher bescheiden ausgefallen zu sein. Ein richtiger Headliner war und ist dabei auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Wobei man fairerweise auch sagen muss, dass nicht jede interessante Band immer zu tragbaren Konditionen verpflichten werden kann.

Tag 1
Da neben der Musik auch die Geselligkeit und das in unverwechselbarer Umgebung des nahe gelegenen Städtchens Delft seine unbestrittenen Reize ausüben, stellte sich die Frage „Kommen oder daheimbleiben?“ von Anfang an nicht. Nicht unerwartet sollte dieses die richtige Entscheidung sein. Gut gerüstet, mit fachkundigen Betreuten Proggern, Fotografen und dem Schreiberling ging es am Freitagabend pünktlich zum Veranstaltungsort in Zoetermeer. Mit einem gewissen Heimvorteil hatte Sky Architect die Ehre, das Festival zu eröffnen und die ca. 220 Musikbegeisterten entsprechend einzustimmen.

Mit ihrer progressiven Mischung aus Independent; Alternative; Hard Rock; Jazz Rock; Fusion; New Artrock und Retro Prog trafen die studierten Musiker um Drummer Christiaan Bruin genau den Nerv der Anwesenden. Vor allem die niederländischen Landsleute konnten ihre Begeisterung nicht verbergen. Mit dieser Mischung aus melodiösen sowie komplexen Songstrukturen wurde das volle Programm des modernen Progressiv Rocks ausgeschöpft. Das traf gleichfalls auf den abschließenden Longtrack zu, so wurden auch hier alle Register gezogen. In Erinnerung verbleibt ein guter Auftritt der Lokalmatadore.

Nach einer kurzen Umbaupause folgten programmgemäß die britischen Newcomer The Paradox Twin. Von Beginn an waren die zwei Sängerinnen mit ihrem auffälligen Outfit ein besonderer Hingucker.

Stimmlich zwar nicht in den oberen Sphären angesiedelt, insgesamt aber ganz okay, spulten die Briten ihr Programm ohne große musikalische Überraschungen ab. The Paradox Twin bewegte sich zumeist im Bereich des Wohlklangs, Midtempo Passagen bestimmten den Hauptteil der Songs, ergänzt durch den ein oder anderen gitarrenorientierten Moment. Unspektakulärer Prog Rock, eine Mischung aus Independent; Alternative; New Artrock und Post Rock, der seine Fans fand.

Um 21.35 Uhr erwartete dann die Fans die finnisch/schwedische Formation Von Hertzen Brothers. Dem Berichterstatter bislang unbekannt und daher mit großem Interesse erwartet, bot sich ein kraftvolles, dynamisches Feuerwerk aus Classic- und Melodic Rock. Da konnte man den Wunsch nach gutem Prog einfach mal vernachlässigen.

Auch die langsam eintretende Ermüdung bekam keine Chance, sich weiter auszubreiten, dafür sorgten krachende Gitarren und exzellenter Harmonie Gesang. Die Künstler hatten sichtlich große Freude daran, ihre Fans mit auf ihren musikalischen Ausflug einzuladen und auf professionelle Art und Weise dann auch mitzunehmen. Keine Frage, wer geglaubt hatte, dass aus Skandinavien nur Melancholie und im schlimmsten Fall depressive, gar dunkle Stimmung kommen kann, musste sich getäuscht sehen, verbreiteten die fünf Musiker zum Abschluss des 1. Festivaltages doch einen hohen Spaßfaktor und das mal ganz ohne Neo Prog.

Tag 2
Noch mit den Eindrücken und der Müdigkeit des Vortags beschäftigt, startete Tag zwei des Festivals mit viel Sonne und dem traditionellen Spaziergang durch die wunderschöne Altstadt von Delft.

Entspannt und definitiv auch ohne Festival immer eine Reise wert, so stellt sich dieses Kleinod der alten holländischen Baukunst dar. Ein Ort, der bestens geeignet ist, um neue Energie für die folgenden Festivaltage zu tanken.

Schon früh am Nachmittag, genau gesagt um 15.00 Uhr, erfolgte das Startzeichen für eine weitere niederländische Band namens The Dame. Für die anwesenden Betreuten Progger bis dato eine weitere Unbekannte. Die 2015 in Den Haag gegründete Progressive Rockband The Dame veröffentlichten ihr Debütalbum im Februar 2018. Gerne beschreiben sie ihre Musik als sexy Version von Progressive Rock. Ob diese Selbsteinschätzung dann auch tatsächlich zutreffend war, davon konnten sich in der Boerderij die rund 160-180 Fans selbst ein Bild machen.

Rein optisch betrachtet, entführte The Dame und vor allem die Frontfrau Marian van Charante die Anwesenden in die romantisch verklärte aber auch leicht frivole Zeit der zwanziger Jahre. Ausgestattet mit stilvollem Outfit, ergab sich ein gelungener Kontrast zur wenig romantischen Rockmusik. Kräftiger Gitarrensound sorgte dafür, dass neben dem visuellen Eindruck auch die Gehörgänge ordentlich in Anspruch genommen wurden. In Anbetracht des freundlichen Applauses schien diese Mixtur bei den Anwesenden durchaus seine Zustimmung zu finden.

Nach den Niederländern folgte die britisch / kanadische Formation IT. Bislang ebenso ein weißer Fleck auf der progressiven Rockkarte der Betreuten Progger. Die von Nick Jackson bereits im Jahre 1994 gegründete Band schaffte es trotz dieser langen Vorlaufzeit bislang nicht, auf dem europäischen Kontinent für hörbare Furore zu sorgen, ob sich das nach diesem Auftritt ändern wird, bleibt abzuwarten.

Die mehr auf rockige Töne eingestellten Fans wurden insgesamt mit dem energiereichen Live-Sound, der tatsächlich nicht nur bei diesem Gig ausgezeichnet abgemischt war, zufriedengestellt. Da gänzlich auf Keyboards verzichtet wurde, überrascht nicht, dass es weniger progressiv symphonisch, dafür mehr metallisch rockig herging. Dennoch absolvierte dieses Quartett seinen Auftritt souverän und erhielt letztendlich auch seine wohlverdiente Zustimmung.

Programmgemäß folgten um 18:30 Uhr die mit reichlich Vorschusslorbeeren versehenen und mit Spannung erwarteten Griechen von Verbal Delirium. Und es sollte keine Enttäuschung werden. Progressive Rock, wie man es sich nur wünschen kann. Das Quintett um Frontmann, Sänger und Keyboarder John Kosmidis bot von Beginn an eine ausgewogene Mischung aus Jazz, Prog, New Artrock und Symphonischem Rock.

Dabei punkteten sie immer wieder mit ihren kreativen Ideen, den Breaks, den geschickt eingestreuten Stimmungswechseln und den melodiösen, harmonisch balladesken Elementen und einigen atmosphärischen Keyboardpassagen. Mit ihrer Darbietung zählten die Musiker aus Hellas ohne Zweifel zu den Highlights des Samstags. Obwohl an diesem langen Tag noch weitere Kaliber auf ihren Auftritt warteten.

Die Griechen hatten, zur Freude der Fans, es sich nicht nehmen lassen, ein wenig zu überziehen. So musste die treue Fangemeinde von IO Earth noch knapp 15 Minuten länger auf den Bühnenauftritt warten. Der erste Eindruck verdeutlichte, hier stand eine sichtlich gereifte Band am Start. Noch an frühere Auftritte erinnert, hatten die Betreuten Progger eine etwas gedämpfte Erwartungshaltung mit in die Niederlande gebracht. Die von der Insel angereiste Band hatte erneut die Besetzung gewechselt. Mit der gestenreichen Rosanna Lefevre stand jetzt ein neues Gesicht und eine andere Stimme an vorderster Front der siebenköpfigen Formation.

Die britischen Neo Progger boten musikalisch gefühlt keine großen Überraschungen, dennoch kann die gesamte Präsentation als mehr als solide bezeichnet werden. Die Videoperformance in Verbindung mit den eingestreuten orientalischen Klängen und dem typisch britischen Neo Prog bildeten eine interessante Einheit. An der Resonanz der Anwesenden war deutlich abzulesen, dass dieser Auftritt den Geschmack der angereisten Fangemeinde traf.

Ein wenig Durchhaltevermögen war dann schon erforderlich, um auch den letzten Act des Abends schadlos zu überstehen. Der ursprüngliche Zeitplan wurde noch einmal um gut 25 Minuten strapaziert, bis die norwegische Band Gazpacho mit dem gebührenden Applaus und der angemessenen Aufmerksamkeit begrüßt werden konnte. Im Gegensatz zur namensgleichen kalten andalusischen Suppe boten die norwegischen Gazpacho keine unterkühlte Kost. Allerdings sind die Norweger auch nicht gerade dafür bekannt, ein heißes Progfeuer abzubrennen. Ihre Musik ist meist geprägt von melancholischen Elementen. Dem wurde Gazpacho tatsächlich auch live gerecht.

Visuell begleitet von einer gut abgestimmten Video Animation mit teils finsteren Bildern, untermauerten Gazpacho ihre musikalischen Ambitionen, ihre Art von Stimmungslage zu erzeugen. Dafür sorgte der im Mittelpunkt des Geschehens stehende charismatische Gesang von Jan-Henrik Ohme. Auffällig war, dass gegenüber früheren Konzerten der Norweger erfreulicherweise eine deutlich verbesserte Performance auf die Bühne brachte.

Tag 3
Der dritte Festivaltag startete standesgemäß mit Traumwetter, somit ein Leichtes, die Zeit zwischen Frühstück und Event zu verbringen. Mit einem Bummel durch die Altstadt von Delft zwischen Grachten und alten Gemäuern ließ es sich sehr gut aushalten und ausreichend Energie tanken, denn nachmittags warteten die nächsten Acts. Multi-Instrumentalist Franck Carducci mit seinen Musikern durfte den letzten Festivaltag einläuten. Unterstützt wurde er durch Mary Reynaud, wie sich herausstellte eine ausgesprochen gute Sängerin.

Frei nach dem Motto „ein bisschen Show muss sein“ wurden Musikstile sowie Outfit passend zu den Songs gewechselt. Dabei standen musikalisch Neues, aber auch Altes von Deep Purple bis hin zu Pink Floyd auf dem Programm. Den Anwesenden gefiel dieser Mix aus schillernder Performance, Progressivem Rock, AOR und Melodic Rock.

Auf Carducci folgte die One Man Show Gabriel Played Live by Brian Cummins. Ursprünglich mit einer gewissen Spannung erwartet, mit der Hoffnung auf den ein oder anderen Klassiker des ehemaligen Frontmanns der Kultgruppe Genesis.

Immer wiederkehrende technische Probleme und auch das Fehlen einiger erhoffter Titel wie z.B. ‘Solsbury Hill’ trübten spürbar den Auftritt. Brian Cummins, grundsätzlich kein schlechter Sänger, kämpfte tapfer mit den Widrigkeiten, doch dürfte dieser Soloauftritt bestimmt nicht seinen wirklichen Fähigkeiten entsprochen, geschweige ihn zufrieden gestellt haben.

Das sollte im Anschluss die John Hackett Band wesentlich besser machen, so der Plan. Multiinstrumentalist John Hackett, seines Zeichens jüngerer Bruder des ex-Genesis Gitarristen Steve Hackett, war eine weitere Unbekannte als Live-Act, zumal er mit seiner Band erstmalig auf dem Kontinent auftrat. Einen gewissen Bekanntheitsgrad hatte er sich bereits in der Vergangenheit durch seine diversen Studioauftritte bei namhaften Künstlern erarbeitet. Ein Flötist mit großer Qualität, so war der Kenntnisstand bis dato. Bei seiner Band übernahm er zusätzlich die Keys, wobei das Tastenspiel an diesem Abend scheinbar nicht zu den Stärken zu zählen war.

Mit einem Grenzgang zwischen Pop, Rock, Progressivem, Jazz und Fusion gab es eine interessante Mischung, die für jeden etwas zu bieten hatte. Während der Gesang von John nicht ganz überzeugen konnte, war der Gitarrist Nick Fletcher die große positive Überraschung. Exzellent und sehr vielseitig wusste er die Saiten in Schwingungen zu bringen. Mit King Crimsons Klassiker ‘I Talk to the Wind’ ging ein abwechslungsreicher und im Großen und Ganzen ordentlicher Auftritt der Briten zu Ende. Nicht zu vergessen, dass die sympathischen und humorvollen Musiker (insbesondere der Schlagzeuger Duncan Parsons) nach ihrem Gig geduldig die Wünsche der Autogrammjäger erfüllten und genügend Zeit für ein Schwätzchen hatten. Wann und wo hat man schon die Gelegenheit, so nahe an die mehr oder weniger populären Musiker heranzukommem, hier in der Boerderij ist das beim Progdream Festival immer wieder möglich. Das macht die Veranstaltung u.a. auch so unendlich sympathisch und zu einem Muss für die gesamte Progfamilie.

Kurz vor 21:30 Uhr war das Wochenende fast geschafft, mit den Italienern The Watch durfte die letzte Band die Bühne betreten. Es sollte sich gelohnt haben, bis zum Ende durchzuhalten, so waren die Südländer für viele Progfreunde nicht die Letzten, sondern ohne wenn und aber ein Höhepunkt des gesamten Festivals. Wer die alten Genesis liebt, wurde für seine Geduld entsprechend belohnt.

Neben altem und neuem Material der Band präsentierte das Quintett aber auch diverse Genesis Klassiker, wie z.B. ‘Suppers Ready’ (ausschnittsweise), ‘Firth of Fifth’ oder ‘Lamia’. Da machte sich bezahlt, dass die Italiener diese Musik total verinnerlichen und mit großer Freude und Hingabe zelebrieren. Alles wirkte sehr authentisch, nahe am Original und dennoch mit einer eigenen Note versehen. Ein wunderschöner Abschluss am dritten und letzten Festivaltag und das, obwohl sich bedauerlicherweise nur noch 130-140 Fans das nicht entgehen lassen wollten.

Nach einem erneut unvergesslichen Wochenende blieb für die total erschöpften und reichlich müden, aber zufriedenen Betreuten Progger leider nur noch der Heimweg ins Rheinland.

Am Ende bleibt ein ganz dickes Dankeschön an Arie und seine annähernd 100 zumeist ehrenamtliche Helfer. Vorbildlich die Organisation, exzellent die Arbeit der Mixer, perfekt der Sound, unvergesslich die herzlichen Momente mit Freunden, erfreulich die vielen anderen positiven Erlebnisse, so bleibt nur noch der dringliche Wunsch auf ein Wiedersehen im nächsten Jahr, mit dem Appell an Arie: “Lass eines der besten Prog Festivals in Europa nicht sterben”. Wir Betreuten Progger hoffen auf September 2020 (?), dann wieder mit einigen lang ersehnten Headlinern, vielen neuen Fans und geballter Progpower an zwei Tagen.

Text: Horst-Werner Riedel
Live-Fotografie: Timo Riedel

Surftipps zu VIII. Progdreams Festival:
Homepage Cultuurpodium Boerderij Zoetermer
Homepage Sky Architect
Homepage The Paradox Twin
Homepage Von Hertzen Brothers
Homepage IT
Bandcamp Verbal Delirium
Homepage IO Earth
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