Edgar’s Hair – Jonathan’s Dive

Edgar's Hair - Jonathan's Dive (Hoor/Clearspot, 2018)(24:45, 21:59, 24:37, 22:11, 2 LP, Hoor ’75/Clearspot, 2018)
Sucht man diese Künstler im Netz, findet man zunächst jede Menge Haarkräusler- und Make-Up-Studios. Doch sind endlich die richtigen Edgaren aus- und klargemacht, findet die Freude gar kein Ende mehr! Zu diesem Traum von einem Konzept-Album, das sie hier gemacht haben, gibt es eine liebevoll designte Microsite und eine reizvolle Geschichte: “Jonathan’s Dive” ist natürlich nicht die erste Musik, die von Richard Bachs Roman “Jonathan Livingston Seagull” inspiriert wurde. Aber sicher die interessanteste. Und ganz offensichtlich ist hier großartige Musik entstanden, die zumindest teilweise auch mit so ehrgeizigem wie ästhetisch überzeugenden Konzept aufgeführt wurde:

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Die hier zu beobachtende Bauchtänzerin lag der schön gemachten Doppel-LP leider nicht bei, das war aber auch schon die einzige Enttäuschung. Die Band bezieht sich selbst ausdrücklich auf Soft Machine und King Crimson, aber auch auf The Chameleons, Mogwai und Sigur Rós – und von vielem davon lässt sich zumindest ein wenig im Verlauf dieser wunderbar atmosphärischen, in epischen Bögen erzählten Möwengeschichte wiederfinden.

Der dreizehn Minuten (!) lange Aufmacher ‘Glittering Heights’ bezieht seine unheilvolle Spannung aus den zwischen Titanic kurz vor dem Zusammenstoß und Van der Graaf Generator kurz vor ‘Man-Erg’ klingenden, von Mike de Leeuw gespielten Dung Chen, einer Art tibetischen Didgeridoo, und aus den vielen Naturgeräuschen, aus denen sich erst langsam ein Rhythmus und ein Gitarrenlick schält.

Natürlich beginnt ‘Black Ocean’ mit Meeresrauschen, außerdem mit warmem Flanger-Bass (Fretless?), dessen Pulsen hier entfernt an Buckelwalisch erinnert. Beim Einsetzen von Hans Brussees Gesang schwenken die Assoziationen von “Findet Nemo” zu einer magischen Jam-Session von Sweet Smoke-und Colour Haze-Bandmitgliedern. Auf ‘Vanished Into Empty Air’ hören wir eine Live-Aufnahme von Hans an Gitarre und Gesang, diese Soundscapes erinnern allerdings eher an Ralph Towner und Jan Garbareks “Dis” oder Paul Horn in der großen Gizeh-Pyramide als an ein herkömmliches Gitarrensolo.

‘The New Sun Sparkled Gold’ überrascht mit einem Rhythmus zwischen ‘Peter Gunn’ und dem Main Theme aus “The Matrix” und entwickelt sich zu einer schon fast motorpsychotischen Wildheit. ‘The Gull Sees Farthest Who Flies Highest’ liefert zumindest streckenweise die versprochenen Sigur Rós-Anklänge.

‘Through Solid Air’ nimmt die ozeanischen Gefühle von ‘Black Ocean’ wieder auf, ergänzt durch Kinderstimmen. ‘Speed Of Life’ mischt melancholisches Möwenkreischen mit einem treibenden Beat und murmelnden Stimmen. Apropos vermurmelt – Texte enthält das prächtig mit Malereien und künstlerischer Fotografie gezierte Gatefold Cover leider keine.

Die kleine Skizze ‘Banished To A Solitary Life On The Far Cliffs’ klingt genau wie der Titel vermuten lassen könnte – einsam, aber auch majestätisch. ‘Floating Time’ lässt uns verstreichende Zeit über einen tropfenden Bass und gestreichelte Gitarren erfahren. Die Gesangs-Coda lässt wieder an unsere Isländer denken.

Das Titelstück schließlich wird von sehr ausdrucksvollem, tief emotionalem Gesang, sparsamen Klavierfiguren und einer fast kathedralen Raumakustik dominiert – bis ein Gewitter losbricht, gefolgt von ergiebigen Regenfällen. Und natürlich dem Sturzflug des sinnsuchenden Vogels selbst, erlebbar gemacht durch Beschleunigung und Intensivierung.

‘The Messenger’ mit seinen Bläsern und Gongs hat etwas vom Kundun-Soundtrack.

Jonathan’s Dive by Edgar’s Hair

Bleiben noch der kurze Psychrock-Song ‘God’s Plan’ (mit Theremin-Einsatz). Und bleibt das große Finale, das vierteilige ‘Stratosphere’, das fast schon einen Film für sich darstellt.

Lange nichts so Fesselndes, Berührendes gehört. Was muss das erst live für ein Sinnenfest sein – mit Projektionen vielleicht. Oder der besagten Tänzerin. Oder einfach nur so.
Bewertung: 13/15 Punkten

PS: Doppel-Vinyl (180 Gramm, mit Download Code) ist Euch nicht retro genug? In Edgars Hairstudio kann auch bei diesem Styling-Problem geholfen werden – “Jonathan’s Dive” ist auch auf Audocassette erhältlich.

PPS: Das Beste zum Schluss – Edgar’s Hair arbeiten bereits an neuem Material!

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