Terry Bozzio – Composer Series

(48:10, 50:56, 69:04, 63:54, 46:35, 4 CD, 1 Blu-ray, earMUSIC/Edel, 2016)
Schlagzeuger sind im allgemeinen nicht die albernen Zappelphilippe, als die sie in der Öffentlichkeit gerne dargestellt werden, sondern meist sehr nachdenkliche und eher introvertierte Menschen wie z.B. Chad Wackermann, Steve Smith, Neil Peart, Bill Bruford, Dave Weckl oder Terry Bozzio; letzteren verbindet mit Mr. „Der Trommler“ ein Hang zu philosophisch-psychologischen Themen. (Nur am Rande sei erwähnt, dass Neil Peart ein begnadeter Schriftsteller ist, der neben sämtlichen Rush-Texten bereits mehrere Bücher veröffentlichte.) Terrys Horizont reicht wie erwähnt weit über musikalische Themen hinaus; dort, wo sich Wissenschaft und Spiritualität treffen, ist auch Mr. Bozzios geistige Heimat. Unter anderem ist er sehr an Carl Gustav Jungs Werk und an humanistischer bzw. transpersonaler Psychologie interessiert. Dieser Mann verkörpert die Vergeistigung des Trommelns – dies ist für denjenigen, der Terry schon einmal live mit seinem Solo-Programm erlebte, kein immanenter Widerspruch. Der ex-Zappa-Schlagzeuger ist ein humanoides Hendiadyoin, These und Antithese zugleich, die er durch sein Spiel zu einer Synthese fusioniert. Jedem Musikliebhaber sei ein Vortrag Terry Bozzios über Musiktheorie ans Herz gelegt, in dessen Verlauf er diverse seiner Kompositionen am Schlagzeug zum Besten gibt, verbunden mit Anekdoten aus seinem Leben; allein das episch anmutende Kapitel „Frank Zappa“ schreit förmlich nach einer Veröffentlichung in Buchform. So lernte der italo-amerikanische Trommelkünstler denn auch erst nach seinem Musik-Studium in Zappas Band das richtige Leben kennen. Kurzum, Terry Bozzio im Kontext des Progressive Rock noch detaillierter vorzustellen, hieße Trommeln nach Frankfurt zu tragen.

Ob Terry zu den besten Schlagzeugern der Erde zählt, wovon seine Aufnahme in die Modern Drummer‘s Hall Of Fame zeugt, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, da eine solche Einschätzung davon abhängig ist, nach welchem Kriterium man solches beurteilt; sicherlich sind seine technischen Fähigkeiten sehr gut ausgeprägt und ganz bestimmt kann er komplexe ungerade Rhythmen spielen, aber Hochleistungsathleten wie Virgil Donati, Thomas Lang, Marco Minnemann oder Mike Mangini hängen den Grandseigneur des Solo-Drumming gnadenlos in puncto Technik, Schnelligkeit und Komplexität ab, wohingegen Chad Wackerman mindestens genauso musikalisch spielt wie sein Zappa-Vor-Vorgänger Bozzio. (Musiker, die das schneller-höher-weiter-Spiel betreiben, werden vermutlich nie verstehen, dass die grundlegendsten musikalischen Aussagen in den Pausen, also den Noten, die nicht gespielt werden, bestehen.) Auf alle Fälle ist der ex-Zappatista Mr. Black Page aber einer der innovativsten Schlagwerker in der Musikgeschichte; diese Lorbeeren kann ihm keiner nehmen. Außerdem glänzt Terry Bozzio nicht nur als Schlagzeuger, sondern ist auch als Komponist, Arrangeur, Schöngeist und Trommel-Virtuose eine Klasse für sich. Als Meister aller Kessel, die er an seinem Monster-Schlagzeug, das ein mittelgroßes Wohnzimmer restlos ausfüllt, auf bestimmte Tonhöhen stimmt, um damit auch melodisch spielen zu können, wird er hinter seinem Drum Set quasi zur Paraphrase der Polyrhythmik. Darüber hinaus besticht er durch sein exquisites Beckenspiel; er verwendet nur ausgewählte Becken bestimmter Tonhöhen, um auch damit melodische Akzente setzen zu können und wurde dadurch zum Vorbild für viele Trommler, die sich vom Bozzioschen Melodic Drumming inspirieren ließen. Frank Zappas Lieblingstrommler als Innovator, ja sogar als Erfinder des Solo-Drummings zu bezeichnen, ist keineswegs übertrieben; er brachte diese Kunstform vermutlich als erster Schlagzeuger mit abendfüllendem Programm in die Konzerthallen, indem er Rhythmen mittels seiner vier-Wege-Unabhängigkeit derart gekonnt orchestriert, dass man manchmal bei geschlossenen Augen den Eindruck hat, es würden zwei oder gar mehr Schlagzeuger synchron trommeln. Dabei greift er oftmals auf Ostinati zurück, mit denen er sich selbst beim Solieren begleitet; er ist also gleichzeitig Rhythmus- und Solo-Schlagzeuger.

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Terry ist weit über den Bereich der Musik hinaus ein ganz besonderer Mensch, der seine Zeitgenossen auf sehr umfassende Weise wahrnimmt und für jeden ein positives Wort hat, das den Betreffenden sehr gut charakterisiert. Er scheint die jeweils individuellen Stärken zu spüren und sagt zu Recht über andere Schlagzeuger: „Jeder hat etwas an sich, das er besser kann als ich, sei es die Art, einen bestimmten Rhythmus zu spielen oder die Felle immer ziemlich genau in der Mitte zu treffen, sei es ein hervorragendes Timing oder die Lockerheit in den Handgelenken.“ Das ist kein Understatement, das ist authentisch; das ist Terry Bozzio, wie er leibt und lebt. Er lebt und spielt, was er fühlt; seine akademische Ausbildung hat in dieser Hinsicht also nicht geschadet, sondern sogar geholfen, denn Technik sollte ein Ausdrucksmedium und kein Ausdruckshindernis für Gefühle sein.

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In der vorliegenden, opulent ausgestatteten Box befinden sich vier CDs mit 59 Eigenkompositionen verschiedener musikalischer Kategorien, von denen manche auf Terrys Schlagzeugspiel basieren, während andere nur Percussion-Instrumente enthalten und weitere wie ‘Sunday Morning’ nur aus einer Klavierspur bestehen; CD eins und CD zwei enthalten Stücke, die man allesamt in die Bereiche Jazz und Fusion einsortieren kann, CD drei wartet mit klassisch orientierten Titeln auf, wobei meist die zu hörenden Nicht-Schlag-Instrumente aus der Retorte kommen, und CD vier ist komplett dem Ambient-Bereich zuzuordnen. Wahlweise gibt es diese Box mit DVD oder Blu-ray, die jeweils ein im Studio aufgenommenes, 35-minütiges Schlagzeugsolo, eine Kamerafahrt durch den Bozzioschen Instrumenten-Park sowie den Auf- und Abbau seines Giga-Schlagzeugs im Zeitraffer zeigen. Des weiteren beinhaltet die Box ein 40-seitiges Booklet mit Hintergrund-Informationen sowie von Mr. Bozzio eigens für diesen Zweck angefertigte Zeichnungen zu jedem Titel – der erste Schritt hin zum Gesamtkunstwerk. Wie dem auch sei, diese Box ist Terrys Lebenswerk und eine Hommage an sein Schaffen – diese Rezension ist eine Hommage an Terry Bozzio, den inspirierendsten Trommler des 20. Jahrhunderts. In seinen eigenen Worten klingt dies wie folgt:

„Ich komponiere seit den 70ern, nicht nur Songs wie bei den Missing Persons oder Jeff Beck. Ich komponiere in allen Genres, wenn man sie so klassifizieren will. Von Klassik bis Ambient und Electronic, von Filmmusik-ähnlichen Kompositionen bis hin zu Fusion, Rock und Jazz. Ich verfolge einen ganz eigenen, einzigartigen Stil und arbeite dabei auf verschiedenste Arten: vom Notieren auf dem Papier über Live-Aufnahmen und diverse Computer-Anwendungen, die ich nutze; je nachdem, was am besten zu dem passt, das ich erreichen will. Sowohl Zappa als auch der bekannte Musikwissenschaftler Nicolas Slonimsky haben mich zum Komponieren ermutigt und meine ,Chamberworks’ wurden auf dem Vienna Jazz Festival und in den Niederlanden mit dem Metropol Orkest aufgeführt.
Ich dachte, es wäre großartig, diese Musik, an der ich schon so lange arbeite und die ich so lange für mich behalten habe, nun zu teilen. Ich hoffe eine andere Seite von mir zu zeigen, anders als die, welche die Leute von meinen Solo-Drumshows gewöhnt sind. Außerdem wollte ich für jeden Song eine abstrakte Zeichnung, die ihn repräsentiert und gepaart mit ihr dieses Hybrid-Projekt aus Musik und Kunst erzeugen.“

Basta la Vista!
Bewertung: 15/15 Punkten

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